: Die Stadt der Engel
Mit dem 1:0 gegen die Glasgow Rangers zieht der VfB Stuttgart ins Achtelfinale der Champions League ein
STUTTGART taz ■ Schon vor dem Triumph kannte die Euphorie keine Grenzen. Ein riesiges Transparent entrollte sich über den Häuptern der Fans in der Kurve des Gottlieb-Daimler-Stadions zu Stuttgart. Darauf zu sehen: gut gelaunte barocke Engel, die um das Logo des VfB Stuttgart tänzeln. Sie spielen Trompete, Harfe, Trommel und Fußball, und unten an der Balustrade hing dazu der Spruch: „Selbst die Engel ham’s erkannt – Stuttgart außer Rand & Band!“
Nach dem Triumph, dem 1:0-Sieg gegen die Glasgow Rangers in der Champions League, der die Stuttgarter endgültig ins Achtelfinale katapultierte, entsandten über 50.000 schwäbische Kehlen einen Jubelschrei in solch orkanartiger Lautstärke hinauf in den Himmel, dass man glaubte, da oben erschrecke einer, der gerade salbungsvoll ansetzen wollte: „Jetzt bleibt mal schön auf dem Boden da unten.“ Aber nichts da: „Das Spätzle-Wunder geht weiter“, wie einschlägige Gazetten gestern dichtelten. Und die Instanz, die die Himmelsstürmer in den rot-weißen Trikots am Boden hält, ist aus Fleisch und Blut: Felix Magath, der Trainer. Der hat zwar Visionen, ist aber auch Realist.
Auf der Pressekonferenz stellte er noch einmal das kollektive Erweckungserlebnis in den Mittelpunkt. „Der Sieg gegen Manchester hat allen gezeigt, was hier möglich ist“, erklärte der Schwaben-Messias. Und jetzt, vor dem letzten Spiel in Manchester, dem Endspiel um den Gruppensieg, da hat Magath wieder eine Steigerung parat: „Wir wollen natürlich auch dort gewinnen, um dann als Gruppenerster gesetzt in die Achtelfinal-Auslosung zu gehen.“ Im Rückspiel hätte man dann Heimrecht.
Magath spricht, die Schwaben glauben, keiner zweifelt. So ist das zur Zeit im Ländle. Und selbst die Frage eines eifrigen Reporters, ob denn nicht auch das Finale drin sei, wird nicht etwa mit Kopfschütteln kommentiert, sondern die Blicke richten sich streng nach vorne aufs Podium, wo Felix Magath kurz lächelt, sich einen Kaffee einschenkt und dann leise orakelt: „Ein Schritt nach dem anderen, so weit sind wir noch nicht.“ Magaths Traum ist es, mit dem VfB zu erreichen, was er einst als Spieler des HSV geschafft hat, als man den Bayern trotzte und den Europacup gewann. „Dies ist eine Arbeit hier, wie ich sie, was den Teamgeist, die Begeisterung und die deutschlandweite Anerkennung angeht, in der Bundesliga schon Jahrzehnte nicht mehr erlebt habe.“
Auch finanziell sieht der VfB wieder Land. Mindestens 1,7 Millionen Euro kommen im Achtelfinale zu den schon eingespielten knapp 16 Millionen hinzu. Die 15,7 Millionen Schulden aus der Ära Mayer-Vorfelder sind getilgt. Und dennoch spielt der Klub, der in den letzten sechs Monaten seine Mitgliederzahl von 8.000 auf 13.000 steigern konnte, finanziell noch nicht in der gleichen Liga wie andere Vereine, die um Jungstar Kevin Kuranyi buhlen. Es sollen dies Schalke, Borussia Dortmund und der AC Mailand sein. Anders wie Andreas Hinkel, der wegen seiner Vertragsverlängerung bis 2007 zum Musterschwaben erklärt wurde, ist Kuranyis Unterschrift eine Hängepartie. Und des Trainers Geduld langsam am Ende: „Die Sache muss schnell von Tisch.“ Magath spricht aus, was das Volk denkt: „Es wäre jammerschade, wenn der eine oder andere ohne Not den Verein verlassen würde.“ Kuranyi sagt, er brauche noch Zeit. Warum? Der Jungnationalspieler hat mit Roger Wittmann einen Berater zur Seite, der dafür bekannt ist, die besten Verträge herauszureizen. Kuranyi, als Torjäger eh teurer als Verteidiger Hinkel, der dem Vernehmen nach nun 2 Millionen Euro pro anno überwiesen bekommt, dürfte mit der gleichen Summe kaum zu halten sein. Dies sind Gehaltsdimensionen, die in einem Landstrich, wo jeder Cent mehrfach umgedreht wird, auf besonders sensible Ohren treffen.
Am Mittwoch vergab Kuranyi zwei Großchancen, das Tor schoss Timo Wenzel. Sollte sich Kuranyi des Geldes wegen gegen den VfB entscheiden, wäre er in den Augen der Schwaben ein Engel, den der Teufel holen soll.
TOBIAS SCHÄCHTER
VfB Stuttgart: Hildebrand - Hinkel, Meira, Wenzel, Lahm - Soldo, Meißner - Heldt (49. Tiffert), Hleb (72. Centurion) - Kuranyi, Szabics (89. Branco)Glasgow Rangers: Klos - Ross (70. Ostenstad), Berg, Khizanischwili, Ball - Capucho, Ricksen, Hughes, Arweladse, Vanoli (54. Mols) - Lövenkrands (80. Burke); Zuschauer: 50.348